Sundern. Beim Monatspressegespräch der Sunderner Stadtverwaltung stellte Bürgermeister Ralph Brodel am Dienstag ein ganz aktuelles Pilotprojekt namens „Schnellboot“ vor, schränkte allerdings gleich ein, er wisse nicht, ob man das unter gute Neuigkeiten verbuchen könnte. Schließlich gehe es um ein Problem, das er wie viele seiner Amtskollegen am liebsten los wäre. Nach wie vor warten auch in Sundern Massen von Menschen auf der Flucht auf den Anhörungstermin im Rahmen ihres Asylverfahrens oder sogar noch auf die Gelegenheit, ihren Asylantrag überhaupt erst abzugeben – und das vielfach seit einem halben Jahr und noch länger. Für die Flüchtlinge bedeutet dies, dass es ohne „Status“ nicht weiter geht, dass sie zum Beispiel nicht an den Integrationskursen teilnehmen können.
Idee kam nach der Busreise nach Bielefeld
Die Idee für das Pilotprojekt Schnellboot ist nach der Busfahrt mit 160 Flüchtlingen aus Sundern zur Außenstelle der BAMF (Bundesanstalt für Migration und Flüchtlinge) am 12. mai entstanden. Diese Sunderner Flüchtlinge konnten dort immerhin ihren Asylantrag stellen. Die Hoffnung, auch gleich die Anhörung erledigen zu können, zerschlug sich allerdings. Bürgermeister Brodel und Fachbereichsleiter Stephan Urny bezeichneten die Zustände in Bielefeld als „chaotisch“, was allerdings nicht an den BAMF-Mitarbeitern, sondern an der schieren Masse der dort auflaufenden Menschen liege. Nach aktueller Lage, so Brodel, müssten jetzt all die 160 Menschen aus Sundern, die schon einmal gemeinsam in Bielefeld waren, nochmals alleine dorthin fahren, sobald sie einzeln per Brief dazu eingeladen werden. Dieses „nicht zielführende“ Verfahren wollen Brodel und Urny jetzt beschleunigen und haben dem BAMF deshalb ein „Überraschungsangebot“ gemacht.
Die Anhörer sollen nach Sundern kommen
Seit Mittwoch voriger Woche liegt beim zuständigen „Troubleshooter“ in der BAMF-Zenrale in Nürnberg das Konzept des Pilotprojekts Schnellboot vor. In schönstem Behördendeutsch trägt es den Titel „Kommunales Entlastungs- und Beschleunigungsverfahren zur Prüfung bei Asylantragsstellung und persönlicher Anhörung“ und sieht „eine dezentrale Durchführung des Anhörungsverfahrens“ vor. „Wir drehen das Verfahren einfach um. Die Anhörer kommen zu uns nach Sundern und müssen hier nichts anderes tun als anhören“, sagt Brodel. Platz im Rathaus gebe es genug, so der Bürgermeister. Die Stadt Sundern werde die gesamte Infrastruktur für die Anhörungen stellen und die Organisation übernehmen. Sie werde sogar die Dolmetscher bezahlen und auch Catering und falls erforderlich die Übernachtungskosten der BAMF-Mitarbeiter übernehmen. Die könnten sich dann einzig und allein auf den fachlichen Teil der Arbeit konzentrieren. „In drei Tagen müssten wir dann hier in Sundern durch sein“, so Brodel.
Brodel: „Werde zu einem lästigen Terrier“
Ein ganzes Dutzend guter Gründe zählt Brodel für sein „intelligentes und nachhaltiges“ Schnellboot-Projekt auf – Vereinfachungen und Entlastungen auf vielen Ebenen, geringere Ausgaben für Kommunen wie für den Bund, weniger Leerlauf, Langeweile und Aggression für die Antragsteller, mehr Motivation für Ehrenamtler durch sichtbare Verfahrensbeschleunigung und letztlich frühzeitigerer Abschluss der Integration. Bei seinem Vorstoß, der Neuland betritt, hat Brodel auch MdB Mahmut Özdemir, den Flüchtlingsexperten der SPD im Innenausschuss des Bundestages, eingeschaltet, ebenso die heimischen Abgeordneten Dirk Wiese (MdB9 und Gerd Stüttgen (MdL). Eine Woche nach Eingang seines Schreibens wolle er erstmals in Nürnberg nachhaken, sagte Brodel, denn er habe es eilig. Wenn nichts geschehe, werde er zu einem lästigen Terrier. „Weil uns an dieser Stelle nichts anderes übrig bleibt.“
Zahl der Flüchtlinge leicht gesunken
Abgesehen vom Pilotprojekt Schnellboot gab es wenig Neuigkeiten zum Thema Menschen auf der Flucht. Stephan Urny berichtete, dass Sundern auch im Mai wie schon im März und April keine neuen Zuweisungen bekommen habe, da immer noch einige NRW-Großstädte ihre Quoten nicht erfüllt hätten. Die aktuelle Zahl der Menschen auf der Flucht bezifferte er auf 609. Ein leichter Rückgang (April: 615), weil einige in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Ein Statuswechsel in den ALG II-Bezug findet aufgrund der Probleme mit der BAMF so gut wie nicht statt. Wie Andreas Zimny, Leiter des Jobcenters, berichtete, ist die Zahl der Bedarfsgemeinschaften von Asylbewerbern in den letzten sieben Monaten gerade mal von 10 auf 21 gestiegen.
Zahlen für Schulentwicklungsplan werden überarbeitet
Stefan Urny berichtete, dass die Stadt für die Unterbringung von Flüchtlingen derzeit über 103 zumeist angemietete Objekte – Wohnungen oder ganze Gebäude – verfüge, von denen 90 Prozent belegt seien. Der Hauptaugenmerk liege derzeit auf Umzügen von Familien mit Kindern aus den Sammelunterkünften in eigene Wohnungen. Fachbereichsleiter Martin Hustadt berichtete, dass alle schulpflichtigen Flüchtlingskinder eine Schule besuchen. Zudem würden jetzt die Zahlen für die mittelfristige Schulentwicklungsplanung bis 2025 neu gerechnet. Allein in diesem Sommer werden 12 bis 15 Flüchtlingskinder zusätzlich eingeschult, allerdings wohl fast ausschließlich in den beiden Grundschulen der Kernstadt. Für einen dauerhaften Fortbestand einer selbständigen Grundschule gelte weiterhin die Mindestschülerzahl von 92.
Integration Point: 70 Menschen in Vermittlung
Hustadt berichtete auch, dass das Jugendamt inzwischen in ersten Einzelfällen in Flüchtlingsfamilien habe tätig werden müssen. Gründe seien Überlastung von alleinerziehenden Müttern und Traumata bei den Kindern. Auch vom Integration Point gab es Neuigkeiten. Präsenzzeit des Integration Points in Sundern ist jetzt immer dienstags. Dann ist ein Mitarbeiter der Agentur für Arbeit ganztägig im Bremkes Center vor Ort. Inzwischen sind dort bereits 70 Menschen auf der Flucht in Vermittlung. Zudem ist beim Kolping-Bildungswerk in Arnsberg eine Maßnahme „Perspektive junge Flüchtlinge (PerjuF)“ angelaufen und mit 20 Teilnehmern, davon vielen aus Sundern, ausgebucht.
Auch wenn die Zahl der Flüchtlinge derzeit sogar leicht sinkt, arbeitet die Stadt Sundern weiter an einem Konzept, auch doppelt so viele Flüchtlinge wie heute unterbringen zu können. „Wir wollen vorbereitet sein,“ so der Bürgermeister.