Arnsberg. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat angesichts der dramatischen Zuspitzung der Flüchtlingslage am Montag den von Innenminister Jäger eingerichteten Krisenstab bei der Bezirksregierung Arnsberg besucht. Mehr als eine Stunde, weit länger als im engen Zeitplan vorgesehen, ließ sie sich an der Seibertzstraße von Krisenstabsleiter Thomas Sommer und seinem Team informieren. „Bayern ist in die Knie gegangen, NRW trägt jetzt die Hauptlast,“ sagte die Ministerpräsidentin im anschließenden Pressegespräch. Sie sei außerordentlich dankbar, dass sie hier in Arnsberg ein Team angetroffen habe, das anpacke und schnell reagiere, und das sich Feldbetten ins Büro gestellt habe.
„Arbeit von Menschen für Menschen besonders motivierend“
Regierungspräsidentin Diana Ewert, gerade erst sechs Tage im Amt, sagte, der Krisenstab werde von der Entwicklung gehetzt und könne derzeit einfach nicht vor die Lage kommen, sondern nur reagieren. Mit einem enormen Kraftakt sei es bisher aber gelungen, dass es keine Obdachlosen gegeben habe. Jeder Ankömmling habe ein Bett und ein Dach über dem Kopf bekommen und sei erstversorgt worden, auch medizinisch. Sie dankte für die tolle Arbeit ihrer Mitarbeiter, aber auch für die Unterstützung der Landesregierung, die mit Geld und Personal geholfen habe. „Die Mitarbeiter schauen nicht auf die Uhr,“ sagte Ewert. Denn in einer Behörde, die sonst wenig direkten Kundenkontakt habe, sei diese Arbeit von Menschen für Menschen besonders motivierend. „Die Kolleginnen und Kollegen gehen bis an die Grenzen der Belastbarkeit“, betonten der Personalratsvorsitzende Hans-Georg Schürenberg und sein Stellvertreter Günter Röder. Beide freuten sich über den Dank und die Anerkennung der Ministerpräsidentin.
Bisher landesweit 129 Notunterkünfte organisiert
Diana Ewert sagte, dass in der letzten Woche rund 14.000 Flüchtlinge angekommen seien, 7600, die man erwartete habe, und 6500 zusätzlich aus Österreich und Ungarn. Niemand könne voraussagen, wieviel es nächsten Montag sein werden, vielleicht 30.000, vielleicht 70.000. Bisher seien landesweit 129 Notunterkünfte organisiert worden. Allein am letzten Wochenende seien 2495 zusätzliche Plätze geschaffen worden. Weitere müssten hinzu kommen, möglichst in großen Einheiten, und dabei werde man sich aller Mittel bedienen müssen, die möglich seien. Konkret auf die Zahl von einer Million Flüchtlingen angesprochen sagte Hannelore Kraft, sie wage keine Prognose zu stellen. Aber die Situation sei schon wieder eine andere als die, von der auf dem Koalitionsgipfel am Sonntag ausgegangen wurde, so dass zusätzliche Maßnahmen erforderlich seien. „Die Situation ist schwer zu händeln, aber wir müssen es schaffen,“ sagte sie.
Krisenstab jetzt rund um die Uhr besetzt
Der Krisenstab sei neu, aber tägliche Lagebesprechungen und Telefonkonferenzen mit den anderen vier Bezirksregierungen gebe es bereits seit Monaten, berichtet Dr. Christian Chmel-Menges, Pressesprecher der Bezirksregierung. Der Krisenstab werde geleitet von Thomas Sommer, dem Chef der Abteilung 2, der lange das für Flüchtlingsfragen zuständige Dezernat 20 geleitet habe. Zu den rund 20 Mitgliedern gehören neben der Hauptdezernentin für Asylfrage Nicola Rademacher auch Fachdezernenten von Liegenschaften über Verteilung der Flüchtlinge bis Gefahrenabwehr und Brandschutz. Der Koordinator der mobilen Kontrollteams für die Unterkünfte gehört ebenso dazu wie ein Vertreter der Verbindungsstelle zur Polizei, die fest bei der Bezirksregierung angedockt ist. Auch die Bundeswehr und das THW sitzen mit am Tisch, häufig auch RP-Vize Volker Milk oder die Chefin Diana Ewert. Inzwischen, so Chmel-Menges, arbeitet der Krisenstab im Schichtdienst und rund um die Uhr.
Von 37.146 Plätzen nur noch 613 frei
Die Arnsberger Bezirksregierung hat nach wie vor die landesweite Zuständigkeit für die Verteilung der neu angekommenen Flüchtlinge auf die Notunterkünfte und auch für die Verteilung aus den Landeseinrichtungen auf die Kommunen. Den anderen Bezirksregierungen bleibt als Aufgabe die Akquise von Notunterkünften in ihrem Gebiet und die Koordination vor Ort. Die Zahl dieser Notunterkünfte – wie etwa der Pestalozzi-Schule in Hüsten – schnellt derzeit dramatisch nach oben. Waren es vor den Sommerferien noch etwa 20, präsentierte Diana Ewert Montag mittag die aktuelle Zahl von 129, von denen einige gerade erst dazu gekommen waren. Und die Entwicklung ist weiter im Fluss. Das Land NRW habe in fünf Erstaufnahmeeinrichtungen (EAE) und 21 Zentralen Unterbringungseinrichtigen (ZUE) eine Regelkapazität von 10.695 Plätzen, berichtet Dr. Christian Chmel-Menges. Mit den Notunterkünften seien die Kapazitäten aktuell auf 37.146 Plätze erweitert worden, von denen 36.533 Plätze besetzt seien, so dass nur ein kleiner Puffer bleibe. Noch im Jahr 2011, so der Pressesprecher, seien 1800 Plätze landesweit ausreichend gewesen.
293 neue Mitarbeiter
Beim Dezernat 20 der Bezirksregierung seien derzeit etwa 100 Mitarbeiter tätig, etwa doppelt so viele wie vor einem Jahr, berichtet Chmel-Menges. Diese arbeiteten teils in Arnsberg, teils aber auch vor Ort in den Einrichtungen. Dazu kämen jetzt 293 weitere Mitarbeiter, die von anderen Landesbehörden abgeordnet worden oder bereits pensioniert gewesen seien. Das seien Polizisten ebenso wie Finanzbeamte oder IT-Spezialisten. 193 von ihnen hätten bis letzten Freitag bereits ihre Tätigkeit in den Notunterkünften aufgenommen. „Sie alle arbeiten volle Pulle“, so der Sprecher der Bezirksregierung, “ doch ohne das großartige Engagement der vielen Ehrenamtlichen vor Ort wäre die Aufgabe nicht zu schaffen.“